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 A17 - Das Phantom der 24 Stunden von Le Mans

Protagonisten
Antagonisten
Michel Vaillant
Steve Warson
Jean-Pierre Vaillant
Henri Vaillant
Phantom
Mongole
Mongole
Yves Douleac
Chuck Danver
Jacky Ickx
De Constante
Mongole
Mongole
Am 14.5.1968 rasten (in der Nummer 20/1968 des belgischen Tintin) vier knallrote Boliden auf die Zielgerade von Le Mans und sorgten dort wegen ihrer außergewöhnlichen Rundenzeiten für Angst und Bestürzung. Die mysteriösen Geschosse waren für das nicht minder mysteriöse "Team Gengis Khan" am Start, dessen Dominanz Jean Graton durch spektakuläre Montagen unterstrich. Gleich im dritten Bild jagten die vier Prototypen frontal auf den Leser zu und demonstrierten ihre Aggressivität und Überlegenheit.

Mit dieser packenden Szene startete Graton das 17. Vaillant-Abenteuer
Das Phantom der 24 Stunden von Le Mans (Le Phantome des 24 heures), dessen Handlung fast komplett auf dem oder um den Kurs von Le Mans angesiedelt ist (auf den Seiten 26 und 27 gibt es eine kurze Szene, die in den Vaillant-Werken spielt). Bereits 1957, 1958, 1961 und 1966 war Michel Vaillant beim legendären 24-Stunden-Rennen angetreten und dort jeweils siegreich geblieben (siehe Le Mans-Special). Phantom war nun das zweite Vaillant-Album nach A5 - Die 13 ist am Start (1961), dessen Handlung sich ganz auf das klassische Langstreckenrennen konzentrierte - später folgten A36 - Die Rache der Leader (1980), A55 - Einfach verrückt (1992), A67 - Für David (2004) und A70 - 24 Stunden unter Druck (2007).

Nachdem uns Jean Graton in A16 - Das Geheimnis von Kilometerstein 357 mit einem Ausflug ins Ländliche überrascht hatte, schickte er seine Helden nun wieder auf die Piste zurück und konfrontierte sie dort erneut mit ihrem gefährlichsten Gegner, dem Leader (der uns zuerst 1967 in A14 - Mach 1 für Steve Warson begegnet war). Weshalb sich der notorische Pistenschreck in diesem Album nicht in sein elegantes Cape kleidet, sondern als gruselige Mumie auftritt, bleibt ungeklärt. Das spektakuläre Outfit des Leader-Phantoms und seine mysteriösen Auf- und Abtritte verleihen der Handlung auf jeden Fall die düstere Aura einer Gespenstergeschichte. Als Michel dem Phantom um ein Uhr nachts auf der Haupttribüne begegnet, ist dieses im Wortsinne nicht (an)greifbar, sondern löst sich vor seinen Augen in Luft auf.

Die Zielgerade und die Haupttribüne werden zum nächtlichen Schauplatz einer 10seitigen, bravourös gestalteten Sequenz (auf den Seiten 9-18). In stimmungsvollen Panels etabliert Graton den menschenleeren Schauplatz, auf den der Vollmond lange Schatten wirft. Eine unheimliche Stimme echot den Namen "Michel Vailant" durch die Nacht. Schließlich kommt es zu einer unheimlichen Begegnung mit dem maskierten Leader und zu einer artistischen Einlage von Michel Vaillant, der an den Balustraden wacker nach unten turnt. Auf diese klassische Vaillant-Sequenz wird 2001 in A64 - Operation Mirage (Geisterworte schwingen durch die Nacht) und vor allem 1996 in A59 - Die Gefangene (Michel trifft auf der nächtlichen Tribüne den "ektoplasmischen Leader") Bezug genommen. (In A59 steht Michel Vaillant im übrigen dem Leader nach 30 Jahren erstmals Auge in Auge gegenüber - ein Vergnügen, das Steve Warson bereits 1975 in A28 - Rätsel im Steve Warson genossen hatte.)

Die nächtliche Sequenz schließt mit einer kleinen Verfolgungsjagd ab, wobei die Gründe für das plötzliche Erscheinen von Jean-Pierre und Steve Warson, die in einem neuen Vaillante Coupe heranrasen, nicht geklärt werden. Ein offensichtlicher Übersetzungsfehler ist in der ZACK-Box 24 "Das Phantom der 24 Stunden von Le Mans" (1976) zu finden, in der behauptet wird, Bob Cramer und Dan Hawkins würden Michel Vaillant auf der Haupttribüne attackieren - denn Cramer und Hawkins standen erst ab 1971 (A21 - Gnadenloser Test) in den Diensten des Leaders. In den ZACK-Heften des Jahres 1972, in denen die Story zum ersten Mal publiziert wurde, treten Hawkins und Cramer überraschenderweise nicht auf. (Phantom war das erste albenlange Vaillant-Abenteuer, das nicht mehr in MV Comics publiziert wurde.)

Als Antagonisten dienen in dieser Geschichte neben dem titelgebenden Phantom die vier mongolischen Fahrer des Leader- bzw. Gengis-Khan-Teams, die als "verdammte Mongolen" und "unheimliche Mongolen" bezeichnet werden und mit "der Geschwindigkeit eines Teufels" agieren. Ihre bedrohliche Erscheinung wird dadurch unterstrichen, dass sie ihr Handwerk namenslos, konsequent stumm und mit grimmiger Miene verrichten. Hier werden relativ sorglos negative Stereotype präsentiert, das Pilotenquartett aus Fernost muss als geballte "gelbe Gefahr" auftreten. Wie fast alle Comic-Autoren der klassischen frankobelgischen Ära (man denke an die treudoof blickenden Afrikaner aus Tim und Struppi) bediente auch Jean Graton zeitbedingte Klischeevorstellungen, die aus heutiger Sicht überholt und befremdlich wirken. In späteren Geschichten (A27 - East African Safari oder A39 - Rallye auf dem Vulkan) hat er sich fremden Kulturen mit Respekt genähert.

Der düstere Eindruck, den die mongolischen Fahrer hinterlassen, wird von den vier dämonischen Gengis-Khan-Prototypen unterstrichen, die von ihnen pilotiert werden. Der Gengis Khan tauchte auch in A50 - Die Herausforderung der 4 Asse auf und wurde in A59 - Die Gefangene sogar von Michel Vaillant persönlich gefahren. Mit seinem geduckten, aggresiven Design und der knallroten Lackierung wurde er zum Design-Vorbild für die zukünftigen Prototypen aus dem Hause Leader.

Die schwere Limousine in Leichenwagenschwarz, mit der der Leader in Le Mans vorfährt, kam bereits in A14 - Mach 1 für Steve Warson zum Einsatz.

Das Phantom der 24 Stunden von Le Mans ist ein Abenteuer, das durch seine atmosphärische Dichte und seine packende Handlung zu einem Klassiker der Vaillant-Saga wurde. In stimmungsvollen Panels schildert Graton in der zweiten Hälfte des Albums das nervenaufreibende Langstreckenrennen, das hier von dem vermummten Phantom gestört wird, das am Rande der Piste die Vaillant-Fahrer verhöhnt. Natürlich ist es wenig wahrscheinlich, dass weder die Rennleitung noch die Polizei gegen den Vermummten vorgehen.

1968 gab es in Le Mans zum vorletzten Mal den legendären Le-Mans-Start, bei dem die Piloten quer über die Piste zu ihren Boliden rannten. Jacky Ickx protestierte 1969 mit einem "Gehstreik" gegen diesen Startmodus und fuhr dennoch als erster durchs Ziel (fünf weitere Siege folgten). 1970 wurde der Le-Mans-Start abgeschafft. Wer sich für das Le-Mans-Feeling dieser Ära interessiert, kann hier in einem GT 40 den Kurs umrunden.

Ickx, der legendäre belgische Champion, mit dessen Famile Jean Graton schon seit den 50er Jahren befreundet ist, feierte in Phantom sein Vaillant-Debüt und durfte in den nächsten Alben als gleichberechtigter Protagonist neben Steve und Michel auftreten. Allerdings ist er in diesem Abenteuer noch nicht als Vaillante-Fahrer unterwegs, sondern pilotiert einen Ford GT 40 (mit Chuck Danver als Co-Piloten). Die Fahrer der drei Vaillante-Teams rekrutieren sich aus Steve Warson, Michel Vaillant und einigen Absolventen des "Club V" (siehe A8 - Der Russe), darunter Yves Douleac, der hier erstmals als vollwertiger Vaillante-Pilot agiert.

Der Renndirektor von Le Mans, Monsieur de Constante, hat nach A13 - Zwischen Himmel und Erde erneut einen Gastauftritt.

Während in den vorigen Le-Mans-Abenteuern Michel Vaillant stets als erster durchs Ziel fuhr, blendet Jean Graton hier in der letzten Runde aus. Ob Michel oder Chuck Danver als erster die Zielflagge sehen, bleibt offen. Die echten Le Mans-Sieger hießen 1968 Pedro Rodriguez und Lucien Bianchi, der im Jahr darauf in Le Mans auch den Tod fand.

Christian Denayer, der seit den frühen 60er Jahren für Jean Graton tätig war, beendete vermutlich mit diesem Album seine Arbeit als Wagen- und Hintergrundzeichner.

Zu den Lesern von Das Phantom der 24 Stunden von Le Mans zählte auch Steve McQueen.

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